Manchmal schafft es ein salopper Spruch eines IT-Managers bis in die internationalen Schlagzeilen. So geschehen im Spätherbst 2012, als der indische SAP-Manager V.R. Ferose von Bangalore aus der Welt verkündete: «Die Haltbarkeitsdauer eines Software-Entwicklers ist nicht länger als die eines Kricketspielers – ungefähr 15 Jahre. Die 20-jährigen Typen bringen mir für den Unternehmenserfolg mehr als die 35-Jährigen.» Ferose war zu diesem Zeitpunkt 38. Im Kern trifft seine zynische Aussage aber auf einen verbreiteten Zweifel: Können Leute in der IT überhaupt bis zur Pensionierung in ihrem Beruf arbeiten? Oder ereilt sie die Altersguillotine schon mit 50? Oder gar noch früher? In der Schweiz prallen in der ICT-Welt zwei Phänomene aufeinander. Einerseits wird bis 2024 ein Mangel von bis zu 25’000 Fachkräften prognostiziert, anderseits belegt eine von ICTswitzerland und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich 2015 durchgeführte Studie («Arbeitsmarktfähigkeit arbeitsloser Informatiker 45plus»), dass das Arbeitslosigkeitsrisiko für Informatikerinnen und Informatiker mit zunehmendem Alter stetig ansteigt, während es bei allen Berufsgruppen in der Schweiz gesamthaft mit steigendem Alter abnimmt. Im IT-Umfeld betrug die Arbeitslosenquote 2014 bei den 45 bis 54-Jährigen 2,2 Prozent, bei den 55- bis 64-Jährigen 3 Prozent (die Gesamtarbeitslosenquote im Vergleich dazu belief sich in beiden Altersgruppen auf 2,6 Prozent.
«Den Informatiker» gibt es nicht
Dabei gilt es aber zu beachten: «Den Informatiker» gibt es nicht. Das Standardwerk «Berufe der ICT» listet in der neunten, aktualisierten Auflage 42 Informatik-Berufsbilder. Es ist dementsprechend schwer, bei dieser ausgeprägten Heterogenität abschliessend festzustellen, wo tatsächlich ein Mangel besteht, der auch mit Fachkräften 50+ behoben werden könnte, und wo andere Gründe für den Mangel vorherrschen. In einem Artikel des «Tages-Anzeigers» von Anfang November 2016, der die fehlenden 25’000 IT-Fachkräfte thematisierte, ergab eine Leserabstimmung Folgendes: Auf die Frage «Wie soll der Informatikermangel behoben werden?» waren 22 Prozent der Leser der Meinung, es müssten mehr Leute ausgebildet werden, während mit 61 Prozent die Mehrheit meinte, die Unternehmen müssten Informatiker auch mit 55+ noch anstellen. Die Volksmeinung zu diesem Thema scheint gemacht.
Für mehr Nachwuchs sorgen
Es ist sicher angesagt, Fachkräfte bis zur Pensionierung im Beruf zu halten, um den Fachkräftemangel mindestens etwas zu entschärfen. Die Rechnung hier könnte ganz einfach lauten: Mehr «hinein» plus weniger «hinaus» gleich mehr «drin». Mehr Leute ausbilden und gleichzeitig dafür sorgen, dass weniger Leute das Berufsfeld verlassen, führt unweigerlich zu mehr Fachkräften, die zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Nachwuchs ist neben der dualen Lehre auch die neue Informatikmittelschule, die im August 2017 in Luzern mit einer Klasse startet.
Weiterbildung ist das A und O
Gegenüber älteren Mitarbeitenden – nicht nur im Informatikumfeld – bestehen viele Vorurteile: Unflexibel seien sie, zu teuer, von der wachsenden Geschwindigkeit überfordert und zudem noch schwer zu führen, weil sie alles besser wüssten. Zudem hätten sie veraltete Kenntnisse. Diesen Vorurteilen stehen aber auch klare Vorzüge älterer Mitarbeitender gegenüber: Sie sind belastbarer, denken vernetzter, fallen nicht mehr auf jeden Hype und Trend herein, sie kennen ihr Unternehmen gut und sie sind loyaler. Aber: Ohne konstante Weiterbildung kann heute kein Arbeitnehmer in seinem Beruf bestehen und bis zur Pensionierung arbeiten. Weiterbildung ist das A und O, wenn es darum geht, sich im Beruf fit zu halten. Wer sich weiterbildet, kann sich einen gewissen Schutz aufbauen: Weiterbildung hilft dagegen, obsolet, also wegglobalisiert oder wegautomatisiert zu werden. Aber genausowenig, wie es «den Informatiker» gibt, existiert «die Weiterbildung», nach der man den definitiven «Impfschutz» hat. Wichtig ist, dass schon in der Grundausbildung gelehrt (und gelernt) wird, wie wichtig Weiterbildung ist und wie und wo man sich am besten weiterbildet. Ausgangspunkt dafür ist aber immer die professionelle Neugierde – und die kann viele Formen haben. Wer nur seinen Wissensgarten harkt oder aus seinem Wissenssilo auf die Welt schaut, hat schlechte Karten. Wer sich sagt, «ich bin der Einzige, der System X wirklich kennt, mir kann keiner was», schneidet sich ins eigene Fleisch. Aber auch Arbeitgeber, die denken, «was soll ich die junge ETH-Abgängerin noch auf System Y ansetzen, sie soll lieber unser neues Blockchain-IoT-Projekt mit Machine Learning angehen», schiessen sich längerfristig selbst ins Knie.
In Mitarbeitende investieren
Unternehmen sollten ihren Mitarbeitenden interne und externe Weiterbildungsoptionen anbieten – es ist schliesslich einfacher, in die guten Leute, die man schon hat, zu investieren und sie noch besser zu machen, als sie auswärts zu suchen. Ein breiter, de-spezialisierter Wissenshorizont ist für jeden Arbeitnehmer eine gute Ausgangslage, wenn es darum geht, sich beruflich fit zu halten. Fachkonferenzen, Workshops, E-Learning, der Austausch mit Kollegen inner- und ausserhalb des eigenen Unternehmens sind nur einige mögliche Wege, die man auf dem Feld der Weiterbildung einschlagen kann. Zudem besteht oft auch die Möglichkeit, den eigenen Karriereverlauf den sich verändernden eigenen Interessen anzupassen. Ein Beispiel: Jemand fängt nach der Hochschule als Softwareentwickler an, um dann mit den Jahren als Projektverantwortlicher immer mehr auch in Managementfunktionen hineinzuwachsen. Da ist dann zur fachlich-spezialisierten Weiterbildung auch eine Weiterbildung in Management eine sinnvolle Option.
Es braucht alle
Wie gross auch immer die Fachkräftelücke effektiv sein mag: Es ist extrem kurzsichtig zu denken, mit dem 50. Altersjahr sei das Ablaufdatum eines Informatikers erreicht. Vor allem auch mit Blick auf das durch den demografischen Wandel steigende Rentenalter. Hier werden auch alternative Arbeitsmodelle (Altersteilzeit, Bogenkarrieren etc.) ins Spiel kommen müssen. Es braucht alle. Aber es müssen ja nicht alle gleich so lange arbeiten wie Donald «Don» E. Knuth, der legendäre amerikanische Informatiker, der mit 79 als Professor zwar emeritiert, aber als Informatiker noch immer nicht im Ruhestand ist. Ihn zeichnet vor allem eines aus: sein kaum zu stillender Wissensdurst – ein nachahmenswerter Wesenszug.
Quelle: Swiss IT Magazine, Nr. 07-08, Juli 2017