Augmented Reality

Der nächste grosse Schritt

Augmented Reality ist da, es gibt Anwendungen, die konkreten Nutzen bringen. Wie aber geht man typischerweise vor, wenn man ein AR-Projekt startet? Und welches Know-how ist notwendig, um in diesem Gebiet Fuss zu fassen? Antworten gibt dieser Artikel.

Nach dem PC, dem Internet und dem Siegeszug der mobilen Plattformen steht die Branche am Anfang der nächsten Ära: derjenigen der Augmented- und Mixed-Reality-Plattformen. Dabei eröffnen sich völlig neue Anwendungsmöglichkeiten, viele davon noch jenseits der Vorstellungskraft. Es stellt sich nicht die Frage, ob diese Plattformen relevant werden, sondern nur wann.

Überblick über xR

Die Themengebiete von Mixed Reality (MR), Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) entwickeln sich rasant. Fast monatlich erfährt man von neuen Geräten, Diensten und Anwendungen. Doch was bedeuten die Begriffe? Relativ klar definiert ist Virtual Reality – ein vollständiges Eintauchen in eine andere Welt mittels eines Headsets, in der man die reale Welt nicht mehr wahrnimmt. Ein Nachteil dabei ist der fehlende Bezug zur realen Welt. Der Anwender bewegt sich deshalb nicht oder nur sehr limitiert.

Augmented Reality ist das Gebiet, das aktuell am aktivsten entwickelt wird und in dem viele Firmen am meisten Potential sehen. Es wird definiert als die Erweiterung der Realität, meist mit visuellen und akustischen Mitteln. In Zukunft können jedoch auch weitere Sinne, wie die Haptik, dazu kommen.

Eine einfache Art von Augmented Reality ist die Einblendung von 2D-Daten, wie zum Beispiel die Distanz von einem Freistoss zum Tor in einem Fussballspiel. Bei einer höherwertigen Nutzung wird der Raum erkannt und 3D Objekte mit physikalischen Modellen darin eingebettet. Augmented Reality birgt den Vorteil, dass der Anwender seine echte Welt anreichern, sich in dieser Welt normal bewegen und mit anderen Menschen kommunizieren kann.

Nicht ganz so klar ist derweil die Definition von Mixed Reality. Paul Milgram bezeichnet MR bereits 1994 als das ganze Spektrum zwischen Virtual Reality und Echter Realität. Das bedeutet, auch eine 2D Überlagerung auf einem Mobiltelefon oder eine VR-Brille, bei der zusätzlich ein Kamerabild der Realität gezeigt wird, ist Mixed Reality. Eine andere Definition beschreibt Mixed Reality als eine Untergruppe von Augmented Reality. Diese fortgeschrittene Erweiterung der echten Welt mit den 3D Fähigkeiten von Virtual Reality bringt zusätzlich das Verständnis des realen Raumes. Gegenstände werden also in 3D im echten Raum platziert und interagieren mit diesem Raum. Die Microsoft Hololens ist dazu das passende Beispiel. Die folgenden Ausführungen gehen von dieser Definition aus. Mit AR ist also immer auch MR gemeint.

Das AR als die nächste grosse Entwicklung nach PC, Internet und Mobile gesehen wird, ist für viele teils noch schwer vorstellbar. Als Ende der 90er-Jahre die ersten Mobiltelefone mit Kameras auf dem Markt erschienen, war dies allerdings ähnlich. Nur wenige verstanden den Nutzen guter Kameras in Smartphones. Hat man Augmented Reality einmal erlebt, ist klar: diese überzeugende Art der Realitätserweiterung ist nicht nur ein vorübergehender Hype, sondern das erste Anzeichen von etwas Grösserem.

So überrascht es auch nicht, dass mittlerweile alle namhaften Firmen eine starke AR-Strategie haben – Microsoft mit der Hololens und Windows 10, Google mit dem Projekt Tango, Apple mit dem kommenden iOS 11 und dem ARKit Framework und Facebook, das im Frühling AR als einer von drei Eckpfeiler seiner Strategie definiert hat. Wie aber geht man als Dienstleister vor, wenn man erste Gehversuche in der Welt der virtuellen Realität machen möchte?

Mehrwerte schaffen mit AR

Zu Beginn einer neuen Technologie oder Plattform ändert ein Unternehmen seine grundlegenden Prozesse meist noch nicht, optimiert sie jedoch punktuell. Erst mit einer grösseren Reife und Breite werden ganze Prozesse neu überdacht. Zudem überlegen sich Unternehmen zuerst, wo bereits eine gute Grundlage besteht, die eingesetzt werden kann, um im normalen Arbeitsumfeld Erfahrungen zu sammeln. Aufgrund dessen sind die typischen Gebiete, in denen AR zuerst eingesetzt werden:

  • überall dort, wo man bereits eine gute Basis an 3D-Daten hat
  • oder wo durch den Einsatz in der realen Welt ein Mehrwert geschaffen werden kann.

3D-Daten sind als Beispiel typischerweise im Bereich der Medizin vorhanden. CT- und MR-Scans können heute einfach zu 3D Modellen verarbeitet werden. Auch der Industriebereich arbeitet oft mit CAD/CAM-Anwendungen und hat so gute 3D-Grundlagen. Im Architekturbereich existiert zudem mit BIM (Building Information Modeling) ein interessanter Industrietrend.

In der realen Welt gibt es viele Situationen, in denen ein Mehrwert geschaffen werden kann. In der Industrie beispielsweise steht der Mitarbeitende vor Maschinen, über die er nur wenige zusätzlich Informationen zur Verfügung hat. Diese kontext-sensitiv einzublenden, schafft einen echten Mehrwert. Bei Thyssenkrupp und Tetrapak sind gemäss Angaben von Microsoft bereits 50 bis 100 Servicetechniker mit einer Hololens ausgestattet. Ein Experte kann sich jederzeit per Skype in die Wartungsarbeit einwählen, sieht das gleiche Bild wie der Mitarbeiter und kann mit ihm sprechen und ihm in seinem Sichtfeld Anweisungen geben. Die Mitarbeitenden tragen die Brille nicht dauernd, sie setzen sie ganz spezifisch in Prozessen ein, bei denen sie Unterstützung benötigen. Damit werden die Diagnose und der Lösungsprozess bereits erheblich beschleunigt, die Qualität der Arbeit verbessert und damit rechnet sich der Einsatz von AR für das Unternehmen bereits.

Ein weiteres spannendes AR-Einsatzgebiet liegt im Bereich Schulung. Der Vorteil gegenüber VR: Alle Mitglieder einer Klasse sehen die gleichen Objekte in 3D, können frei um diese herumgehen und sie sich gegenseitig erklären.

Innovationsmethodik ist essentiell

Wo konkret Mehrwerte erzielt werden können, ist im Voraus oft noch nicht absehbar. Deshalb lohnt es sich, Innovationsmethoden anzuwenden, beispielsweise iterativ zu arbeiten, ähnlich wie im Design Thinking.

Um zu erkennen, wie mit Augmented Reality Mehrwert erzielt werden kann, lohnt es sich, Innovationsmethoden analog beispielsweise dem Design-Think-Prozess anzuwenden.

Mit einer solchen Methodik kann relativ rasch abgeklärt werden, welche Ideen und Use Cases tatsächlich nutzenbringend umsetzbar sind und welche nicht. Nur die Pfade, die sich lohnen, werden weiterverfolgt. Daneben empfiehlt es sich, ein interdisziplinäres Projektteam zusammenzusetzen. Dies sollte mindestens bestehen aus:

  • Experten aus dem Fachgebiet, welche die aktuellen Pain Points, Prozesse und Datenqualität kennen oder abklären.
  • Experten aus der AR-Entwicklung und dem 3D-Engineering, welche rasch die Machbarkeit klären und auch erste Prototypen entwickeln können.

Weiter können je nach Bedarf und Typ des Projektes Experten aus den Bereichen Recht, Datenschutz, Daten, 3D Modellierung oder User Experience dazustossen.

Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt darin, dass man ein sehr überschaubares Risiko eingeht. Man kann praktisch jederzeit abbrechen, sollte sich zeigen, dass ein Element fehlt. Oder aber man kann direkt in eine Produktentwicklung übergehen, sollte sich das Potential beweisen.

Ohne 3D-Know-how geht es nicht

Absolut zwingend, um Lösungen mit AR umzusetzen, ist Know-how in der 3D-Entwicklung. Man muss sich in den Konzepten auskennen, wie man in 3D arbeitet und mit 3D Daten erstellt, respektive bestehende Daten optimiert. Die Applikationslogik, Szenerien zu erstellen und User Interfaces dazu zu entwerfen, sind komplett anders als in der Entwicklung von Web- oder Mobile-Apps. Ein bestehender Web-Frontend oder -Backend-Entwickler kann zwar im AR-Umfeld programmieren. Ohne Vorwissen wird er aber viel Zeit damit verbringen, sich die mit der Thematik einhergehenden Kenntnisse anzueignen. Deshalb empfiehlt es sich mit Experten zu arbeiten, denn nur diese sind in der Lage, kostengünstig und rasch die wichtigen Fragen zu stellen und echte Machbarkeitsabklärungen zu machen.

Ein Beispiel: Ein traditioneller Entwickler einer Firma beurteilt die Hololens aufgrund einer einfachen App, die nicht effizient mit 3D Daten umgeht. Will er in dieser App ein komplexes Objekt laden und die App verunmöglicht dies, ist die Hololens aus seiner Sicht nicht fähig genug, komplexe Objekte zu bearbeiten. Aufgrund dieser Erfahrungen lehnt er weitere Schritte ab. Dieses Urteil jedoch ist nicht begründet, denn die Hololens kann gut mit der Komplexität von bis zu einer halben Million Polygonen umgehen. Dazu aber sind Kenntnisse in Modelling-Tools wie Blender, 3D Studio Max, AutoCAD und Entwicklungsframeworks wie Unity 3D notwendig. Ein konkretes Beispiel für die Leistungsfähigkeit ist die Darstellung von Hirnscans des Inselspitals Bern mit der Hololens, die diese On-Demand in die Brille lädt.

AR ist da

Heute ist es möglich, AR-Anwendungen zu realisieren, die vor kurzer Zeit noch undenkbar waren. Und es ist möglich, sehr effizient und kostengünstig mit einigen Dutzend Tagen Aufwand den Nutzen von Anwendungsmöglichkeiten fundiert abzuklären. Dies dank den grossen Fortschritten in den Hardware- und Software-Stacks und den stabilen Entwicklungs-Frameworks. Die Entwicklung geht rasant vorwärts, etwa durch das Erscheinen des ARKit von Apple im Herbst. Der Consumer Markt wird in den nächsten sechs Monaten einige sehr gute AR-Apps sehen. Ikea beispielsweise hat bereits ein App angekündigt, die es erlaubt, Möbel zuhause im Wohnraum zu platzieren und den Wohnraum mit dem Telefon einfach auszumessen.

Im Bereich der Enterprise-Anwendungen werden nach der Hololens weitere Brillen auf den Markt kommen und den Markt vorantreiben. Bereits jetzt bietet die Hololens sehr viele Funktionen und eine hohe Stabilität und kann so verwendet werden, um seine eigenen Abklärungen zu treffen. Wer sich jetzt auf die neue AR-Plattformen vorbereitet, gewinnt bereits jetzt neue Erkenntnisse, um sein Geschäft weiter zu entwickeln, sich gegenüber den Mitbewerbern Vorteile zu verschaffen oder sogar neue Dienstleistungen oder Produkte in diesem Zukunftsfeld anzubieten.

Quelle: Swiss IT Reseller, Nr. 09, September 2017

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