Wie kam es, dass Sie CEO von Netcetera wurden? Haben Sie sich beworben oder wie war das Verfahren?
Nein, beworben habe ich mich nicht. Ich bin vom Verwaltungsrat gefragt worden, ob ich mir das vorstellen könne. Nach meinem "Ja" kam es zu Vorstellungsgesprächen, mit allem, was dazugehört und weil man sich am Ende für mich entschieden hat, bin ich jetzt da.
Wie lange mussten Sie überlegen, bevor Sie zusagten?
Weniger als die üblichen 24 Stunden. Der Moment hat für mich gestimmt, etwas Neues zu machen und ich hatte total Lust darauf. Aber ich gebe zu, dass ich von der Anfrage schon ein Stück weit überrascht war.
Also ein Bauchentscheid?
Einerseits ja, andererseits half auch meine berufliche Intuition, die ich mir erarbeitet habe. Ich kenne mich inzwischen ganz gut und bin schon eine Weile mit mir zusammen (lacht).
Wie organisieren Sie Ihr Familienleben?
Meine Familie lebt in Tübingen, ich unter der Woche in Zürich. Weil meine Kinder langsam flügge werden, warten wir mit dem definitiven Umzug noch zu.
Wie haben Sie sich nach 100 Tagen in der Schweiz und bei Netcetera eingelebt?
Die Schweiz ist für mich keine neue Erfahrung. Ich war in meiner alten Rolle bei IBM schon ein dreiviertel Jahr hier unterwegs. Bei Netcetera habe ich die ersten 100 Tage genutzt, um möglichst viele Mitarbeitende an verschiedenen Standorten zu besuchen und kennenzulernen. Ebenso habe ich mich mit grossen Kunden ausgetauscht.
Durch Ihre Zeit bei G+D und deren Minderheitsbeteiligung an Netcetera kannten Sie das Unternehmen schon, wenn auch aus anderer Perspektive. Hat Sie trotzdem etwas überrascht?
Die hohe Qualität und Lieferfähigkeit von Netcetera. Ich habe hier noch kein einziges "rotes Projekt" gesehen. Auch die Reputation der Firma und das Commitment der Mitarbeitenden haben mich positiv überrascht.
Gabs auch negative Überraschungen?
Mir scheint, dass es Netcetera manchmal schwerfällt, zu etwas "Nein" zu sagen und Vorhaben zu stoppen, die nicht funktionieren. Deshalb ergibt es durchaus Sinn, unser Portfolio mal anzuschauen und zu gucken, ob wir mit allen so weitermachen wollen wie bisher.
Und, wollen Sie?
Es gibt schon ein paar Bereiche bei uns, zu denen wir "Nein" sagen können.
Welche sind das?
Die zu nennen, wäre noch zu früh. Auch, weil es vorher noch ein paar interne Abstimmungen braucht.
Welche inhaltlichen Punkte haben Sie in den ersten 100 Tagen schon in Angriff genommen?
Ich hatte schon ein paar Meetings, in denen es um die Strategieentwicklung für die nächsten drei Jahre ging. Wir sind im letzten Jahr erstmals dreistellig geworden, nun arbeiten wir sehr intensiv daran, wie es weitergehen soll.
Um welche Themen geht es da?
Beispielsweise um unser Operating Model. Wollen wir uns anders aufstellen? Schlanker und klarer strukturiert werden? Und wie soll unsere Vision lauten? Die Beantwortung dieser Fragen ist eine Team-Aufgabe. Ich bin ein grosser Fan von KI – von kollektiver Intelligenz.
Schlanker werden? Das klingt nach Stellenabbau.
Nein, es wird zu keiner Massenentlassung kommen. Natürlich haben auch wir im Auge, wie sich das Geschäft verglichen mit dem Personalbestand entwickelt. Aber bis jetzt sehen wir eine schöne Wachstumskurve nach oben.
Gab es umgekehrt Kündigungen in der Belegschaft, seit Sie gestartet sind?
Bei solchen Umbrüchen, wie wir es erlebt haben, sind Kündigungen normal. Wichtig ist mir, die Mitarbeitenden mitzunehmen durch klare und offene Kommunikation. Und soweit ich das beurteilen kann, haben diese seit meinem Stellenantritt auch nicht überproportional zugenommen.
Wie sieht künftig die Zusammenarbeit mit dem Mehrheitsaktionär G+D aus, den Sie ja von Ihrer 6-jährigen Tätigkeit bestens kennen?
Es ist wichtig zu verstehen: Netcetera ist selbstständig, selber für seine Kunden verantwortlich und verantwortet auch das Business autonom. Natürlich werden wir nun ein paar Reportings einführen und ein paar Prozesse standardisieren, um uns etwas an G+D anzupassen, aber im Vordergrund stehen die Möglichkeiten, die sich uns bieten. Mit G+D im Hintergrund haben wir bei Netcetera ganz neue Möglichkeiten, beispielsweise was das anorganische Wachstum angeht.
Wie viel G+D steckt denn noch in Ihnen oder wie viel davon haben Sie schon abgelegt?
Ich glaube, es steckt mehr IBM in mir als G+D, denn dort war ich dreimal so lange tätig. Aber natürlich kenne ich beide Seiten und kann erklären, wem jetzt diese Zusammenarbeit was bringt. Das hilft, damit das intern auch besser verstanden wird.
Mich interessiert vor allem, weshalb die Mehrheitsübernahme nun so schnell ging. Aus dem ursprünglichen 5-Jahresplan ist ein 2-Jahresplan geworden.
Es gab viele interne Gespräche, bei denen ich aber nicht dabei war. Deshalb möchte ich dazu nichts sagen. Ich kann auch nicht beurteilen, ob es nun schnell ging oder ob es vielleicht sogar der richtige Zeitpunkt war. Das sollen diejenigen bewerten, die involviert waren.
Wie soll sich Netcetera in Zukunft entwickeln: Langsam und nachhaltig wie bisher oder in Richtung Profitmaximierung? Was ist der optimale Weg?
Zum Thema "Wachstum vs. Profitabilität" gibts viel Literatur. Bei meinen bisherigen Stationen habe ich mit den jeweiligen Teams immer beides geschafft. Deshalb ist es mein Bestreben, das auch hier umzusetzen. Dabei darf aber der Nachhaltigkeitsgedanke nicht vergessen gehen.
Wie meinen Sie das?
Es gibt nicht nur Produktivitätsgewinne, sondern auch Nachhaltigkeitsgewinne. Ich stelle mir zum Beispiel die Frage, ob Software auch so programmiert werden kann, dass sie weniger CPU-Power benötigt. Das finde ich spannend und das Thema werden wir mit verschiedenen Universitäten vertiefen. Auch den Kauf von Zertifikaten, um unseren CO2-Verbrauch zu kompensieren, werde ich thematisieren. Dafür wollen wir uns eine klare Strategie geben.
Dieses Interview wurde am 28. April 2023 auf inside-it.ch publiziert.